Schule Berne-Ostansicht 01_klein
10.09.2021

„Wir hatten beinahe schon aufgegeben“

Fux eG: Ihr engagiert euch beim Kultur- und Bildungszentrum Schule Berne – kurz KuBiZ Berne. Was ist das KuBiZ?

Anne Dingkuhn: Es geht um das Gebäude einer ehemaligen Grund- und Hauptschule, die seit Jahren leer steht. Historisch gesehen gehört die Schule in die städteplanerische Gestaltung der Gartenstadtsiedlung Berne. Leider wurde sie geschlossen und der Ort sich selbst überlassen. Dadurch ist für den Stadtteil hier ein Zentrum der Zusammenkunft, ein Bildungs- und Gemeinschaftsort verloren gegangen. Hilke und ich sind Anwohner*Innen und haben das Bedürfnis diesen Ort zu erhalten, zugänglich zu machen und ihn auch weiter zu entwickeln. Die soziale und kulturelle Infrastruktur in Berne hat durch die Sparpolitik der letzten Jahre stark gelitten  – es fehlt an Angeboten für das Gemeinwesen.

Fux eG: Was ist denn mit der alten Grundschule passiert, wohin gehen die Kinder im Stadtteil zur Schule?

Hilke Mellin: Kurz gesagt: Die Kinder wurden an die umliegenden Schulen verteilt.

Dingkuhn: Für uns ist die Schulschließung nicht nachvollziehbar. Es wird neu gebaut in Berne, es kommen junge Leute dazu, die Schulen krachen aus allen Nähten, die Privatschulen sprießen aus dem Boden und der Bedarf an Kitaplätzen ist groß. Aber es war mit dem Schulsenator nicht möglich, sie zu erhalten.

Mellin: Mit der Schließung des Schulstandortes ergaben sich auch neue Schwierigkeiten für die nicht-schulische Nutzung. Die Turnhalle drohte nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Wir setzen uns dafür ein, dass das Gebäude wieder der Öffentlichkeit zugänglich wird. Dass da kein privater Träger einzieht, der da was Schickes draus macht, sondern dass es im Stadtteil bleibt.

Dingkuhn: Wir sehen das jetzt positiv. Wir haben die Chance, mit unserem Projekt den Stadtteil zu beleben und Leute in das Stadteilleben mit einzubeziehen.

Fux eG: Wir waren von drei Jahren mit zwei fux-Vertreter*Innen schon mal bei euch und haben euch erzählt, wie die fux den Kampf für einen gemeinschaftlich betriebenen Kultur-, Bildungs- und Gewerbeort organisiert hat. Damals wart ihr in der Anfangsphase, hattet mit viel Widerstand zu kämpfen was die Erhaltung des Gebäudes, bzw. die Umsetzung des Projekts angeht. Woher kam dieser Widerstand?

Mellin: Es gab eine große Skepsis seitens der Politik und von Institutionen, vor allem hinsichtlich der Finanzierung. Damit hat man uns die Möglichkeit genommen, in den Prozess zu kommen. Aufgrund der Strukturen, die es hier in Berne gibt, gab es sicher auch Bedenken gegenüber einem Stadtteilzentrum, das nicht direkt an den Bezirk oder die Stadt gekoppelt ist, sondern selbstverwaltet und autark ist. Auch in Berne ist alles hier politisch miteinander verknüpft. Unser Projekt ist da ein Stück Neuland.

Fux eG: Was meinst du mit politisch verknüpft?

Mellin: Die SPD ist hier stark und historisch verwurzelt. Daraus haben sich im Laufe der Jahre viele Strukturen ergeben und vielleicht auch Abhängigkeiten. Unser Projekt ist von diesen Strukturen entkoppelt.

Dingkuhn: Es gibt das traditionelle SPD-Netzwerk, die AWO, die freiwillige Feuerwehr und die Gartenstadt-Genossenschaft. Und da triffst du immer die gleichen Leute, die gleichen Bezirks- und Bürgerschaftspolitiker, die diese Funktionen ausführen. In dieses Netzwerk einen Raum reinzukriegen, der offen und unabhängig ist und der trotzdem funktioniert, der sich sogar nach außen öffnet, das ist uns wichtig, aber für die vorhandenen Strukturen vielleicht auch bisweilen bedrohlich. Neuland halt.

Hilke Mellin (li) und Anne Dingkuhn vom KuBiZ Berne

Fux eG: Und das war der Grund, warum ihr zunächst nicht in die Planungen für das ehemalige Schulgebäude involviert wart?

Mellin: Die Bezirkspolitiker haben zwar immer erklärt, sie fänden das gut. Daraufhin haben wir immer den Kontakt gehalten, haben zu unseren Veranstaltungen eingeladen, haben die Bezirksversammlung besucht und haben alles Mögliche am Laufen gehalten. Doch wir mussten feststellen, dass die Planungen zu dem Gebäude weiterliefen und wir nicht involviert waren.

Fux eG: Was für Planungen waren das?

Dingkuhn: Man hatte mit dem ansässigen Sportverein tus Berne schon sehr weit verhandelt, diese Verhandlungen gingen an uns vorbei. Das war ein sehr ärgerlicher und bitterer Moment, das zu erkennen.

Mellin: Es hieß, der tus Berne habe das Geld und könne das wuppen, wir hätten zwar Ideen, das wäre nett – aber mehr nicht. Das ist nicht gerade ein gutes Beispiel dafür, wie man sich einen echten Beteiligungsprozess bei der Stadtentwicklung vorstellt. Und es war unserem Engagement und dem was wir an Ideen da hinein getragen haben gegenüber absolut nicht angemessen.

Fux eG: Stand nicht auch zur Debatte, ob die denkmalgeschützte Schule überhaupt erhalten werden soll, ob man sie nicht vielleicht auch abreißen könnte zu Gunsten von Wohnungsbau?

Dingkuhn: Ganz am Anfang war die Frage, ob aus der Schule auch Wohnungen werden können, oder Privatwohnungsraum im Zuge einer Umnutzung geschaffen werden kann. Aber seitdem wir dabei waren, war eigentlich auch klar, dass das Denkmalamt das nicht zulassen würde.

Fux eG: Das heißt ihr habt durch euer Engagement dazu beigetragen, dass das Denkmal bleibt?

Mellin: Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, weil wir immer darauf aufmerksam gemacht haben.

Dingkuhn: Es war dann irgendwann der Punkt erreicht an dem klar war, dass es KuBiZ gibt und dahinter eigentlich die ganze Umgebung hier steckt und man somit nicht ganz an uns vorbeikommt. Der Prozess war politisch allerdings nicht auf Augenhöhe. Doch dann kam die Wende.

Fux eG: Was war das für eine Wende?

Dingkuhn: Dass wir als Projekt anders gesehen werden, hat mit dem Auftritt von fux zu tun. Als die fux-Genossenschaft als mögliche Partnerin ins Spiel kam, hat das den Dialog, die Wahrnehmung und die Kommunikation vollkommen verändert. Das war beeindruckend.

Fux eG: Wie seid ihr überhaupt auf die fux e.G. gekommen?

Dingkuhn: Witzigerweise ist ein Vorstandsmitglied der fux eG in Berne aufgewachsen. Es war naheliegend, euch als Vorbild einzuladen um zu erfahren wie die Realisierung eines selbstverwalteten Projekts schon mal geklappt hat.

Fux eG: Wann war das und war das der Wendepunkt?

Dingkuhn: Das war Ende 2019. Unsere ursprüngliche Idee war eigentlich tot. Wir hatten beinahe schon aufgegeben.

Mellin: Die Planungen waren sehr weit fortgeschritten. Der tus Berne sollte das Gebäude übernehmen und wir hätten lediglich eine kleine Fläche bespielen können. Wir haben dann überlegt, dass es das so ganz doch nicht gewesen sein kann. Da kam die Idee, nochmal Kontakt zur fux e.G. aufzunehmen. Danach hat alles hat sehr an Fahrt aufgenommen im neuen Jahr. Dass das wirklich noch klappen kann ist richtig toll, beeindruckend!

Fux eG: Es hat dann noch bis zum Oktober 2020 gedauert, bis ein „Letter of Intent“ zwischen Bezirk und fux-Genossenschaft zustande gekommen ist.

Dingkuhn: Thomas Ritzenhoff, Bezirksamtsleiter von Wandsbek, wollte das Modell einer Stadtteil-Kulturentwicklung über das Konzept der Erbpacht und der genossenschaftlichen Verwaltung probieren. Die Stadt stellte die Immobilie – oder einen Teil davon – als Plattform dafür bereit. Das fand ich positiv, dass er das als Chance gesehen hat.

Fux eG: Ihr tragt Kultur und Bildung im Namen. Was stellt ihr euch vor, soll in euren Räumen passieren?

Dingkuhn: Der Schwerpunkt soll Kultur, Soziales und Gesundheit sein. Inhaltlich heißt das: Ateliers, Musiker, Musikschullehrer, Darstellende Künste, eine Bühne, Gastronomie in Verbindung mit Kunst und Events und Gesundheit. Es gibt Überlegungen, ob wir eine Arztpraxis, Psycho- und Physiotherapie oder einen Yoga-Raum mit reinnehmen. Vielleicht vermieten wir auch Räume temporär. Es soll eine Mischung sein aus Leuten, die vor Ort produktiv sind, aus Treffpunkt und Bildungsangeboten.

Mellin: Das Außengelände, der ehemalige Schulhof, soll ein öffentlicher Ort werden, auf dem Veranstaltungen für die Nachbarschaft, den Stadtteil und darüber hinaus stattfinden können. Das Gebäude ist auch gar nicht so groß, insofern haben wir noch einen spannenden Prozess vor uns, das auszuloten. Wir könnten noch weitere Räume füllen mit den Ideen die es alle gibt. Aus dem Wohngebiet selbst gibt es solche Bestrebungen wie eine Werkstatt, in der man sich Werkzeug teilen kann, sein Fahrrad selbst oder mit Anleitung reparieren kann.

Dingkuhn: Es gibt auch solche  Anfragen aus der Nachbarschaft, wie die der Modelleisenbahnfreunde, die sich auch über einen Raum freuen würden. Wir wollen, dass die Umgebung davon profitiert, da bieten sich auch so was wie Kindergeburtstage und andere Events an.

Fux eG: Vorhin hattet ihr gesagt, es ziehen auch viele neue Leute nach Berne. Habt ihr das Gefühl, dass die auch zu den Treffen kommen? Ihr kämpft ja nun schon länger um diesen Ort, gibt es Zulauf von Neuen oder wenn nein, erhofft ihr euch das? Wie kann man in euer Projekt einsteigen?

Mellin: Wir nehmen wahr, dass es sich rumspricht. Wir bekommen Anfragen aus unterschiedlichen Stadtteilen, was uns zeigt, dass das Projekt bekannt wird. Es gibt auch Neubaugebiete hier, insbesondere eines in direkter Nachbarschaft, das noch geplant wird.

Dingkuhn: Die Anfragen zeigen uns, dass viele neugierig werden und wir ein Begriff sind. Die Nutzungsentwicklung soll ein Prozess sein, an dem sich möglichst viele Interessierte beteiligen können. Das braucht Zeit, und auch Mittel. Bisher haben wir alles im Ehrenamt und nach Feierabend organisiert. Mit den bezirklichen Zuwendungen, die jetzt fließen, wird Prozessorganisation, Workshops, und eine größere Außenwirkung möglich.  Z.B. werden wir mit Hilfe vom Projektbüro eine Anlaufstelle im Gebäude einrichten, die regelmäßig besetzt ist und allen Interessierten offensteht.

Fux eG: Die ehemalige Schule muss saniert und umgebaut werden – wie ist der Zeitplan, wann könnt ihr einziehen und richtig loslegen? Und wo steht ihr hier und heute?

Dingkuhn: Ja, das stimmt. Damit sind wir noch ganz am Anfang. Ein Zeitplan ist noch nicht wirklich möglich, dafür fehlen noch zu viele Daten, etwa bei der Schadstoffbelastung. Klar ist aber, dass das Gebäude in einem insgesamt guten Zustand ist, und dass wir an der internen Gebäudestruktur nicht sehr viel verändern wollen – schon wegen des Denkmalschutzes.

Stand heute freuen wir uns erstmal riesig, dass wir so weit gekommen sind: Interessierte fangen an sich einzubringen und identifizieren sich mit dem Projekt. Abläufe beginnen sich zu etablieren, und durch die ersten Geldflüsse, sowie das Engagement und das knowhow von fux eG wird auch planerisch und baulich alles plötzlich sehr konkret.

Mellin: Es ist eine tolle Erfahrung, wenn aus einer vagen Idee, nach so langer Zeit und so vielen Hindernissen, etwas Konkretes wird. Auf dem  Fest jetzt am Wochenende wollen wir das mit allen feiern. Und zugleich wird das ein Vorgeschmack auf später: eine  Art Testnutzung  für dieses alte Schulhaus, an das hier so viele Menschen noch ganz andere Erinnerungen  haben.

Das Interview führten Angela Colsman und Christoph Twickel

Mehr Infos zum KuBiZ Berne und zum Sommerfest am 11. und 12. September findet ihr unter https://kubiz-schule-berne.de/